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Mit welchen Viren wir es im Winter zu tun bekommen – und worin sich Corona und Influenza unterscheiden
Autoren: Ulrich Bahnsen

Im vergangenen Winter blieb die Grippewelle aus. Das war eine Folge der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie: Die Menschen hielten Abstand, trugen eine Maske, wuschen sich häufig die Hände – und vor allem trafen sie sich wegen des Lockdowns deutlich seltener. Viele befürchten nun, dass die Grippewelle in den kommenden Monaten mit voller Wucht zurückkommen könnte – manche Fachleute warnen bereits vor der Twindemic, einer gleichzeitigen Welle von Corona- und Grippe-Fällen. Dazu kommen außerdem Infektionen mit den vier »endemischen« Coronaviren, die jährlich vor allem in der Winterzeit grassieren. Etwa 30 Prozent der Erkältungskrankheiten im Winter werden durch diese Coronaviren ausgelöst. Wer also in den kommenden Wochen schnupft und fiebert, wird sich fragen: Was habe ich denn nun?

Woran merke ich, ob ich Covid oder die Grippe habe?

Vor allem bei leichteren Verläufen sind die Symptome beider Infektionen kaum zu unterscheiden: Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, Husten. Bei schwereren Erkrankungen gibt es dagegen Auffälligkeiten: Influenzaviren befallen im Gegensatz zu Sars-CoV-2 nur die Atemwege, es kann zu einer Lungenentzündung kommen, vor allem bei einer zusätzlichen bakteriellen »Superinfektion«, die tödlich verlaufen kann. Eine schwere Influenza kann Menschen auch nach der Genesung noch über Wochen sehr schwächen.

Sars-CoV-2 dagegen kann sich in vielen Organen des Körpers vermehren und ausbreiten. Deswegen leiden schwerer betroffene Covid-Patienten zusätzlich zu den grippeähnlichen Symptomen oft an Darmbeschwerden oder entwickeln eine Herzmuskelentzündung. Anders als Influenza kann Sars-CoV-2 auch das Nervensystem befallen: Patienten verlieren häufig den Geschmacks- und Geruchssinn, oft über einen langen Zeitraum und manchmal dauerhaft.

Mit welchen Viren haben wir es zu tun?

Es gibt viele Arten von Coronaviren. Menschen sind (bislang) nur empfänglich für sieben von ihnen. Dazu gehören neben Sars-CoV-2, das für die Corona-Pandemie verantwortlich ist, Mers-CoV, vier als harmlos geltende Corona-Schnupfenviren und Sars-CoV-1, das nach der erfolgreichen Bekämpfung der Sars-Epidemie von 2003 aber wohl nicht mehr existiert. Wie Corona- besitzen auch Influenzaviren ein Erbgut aus RNA. Da RNA leicht mutiert, können beide ihre Eigenschaften schnell verändern. Bei Grippeviren gibt es zwei Gruppen: Häufiger ist der Typ Influenza A und seltener der Typ Influenza B.

Wie ansteckend sind die Viren?

In den 20 Monaten seit Beginn der Pandemie wurde in Deutschland bei mehr als 4,3 Millionen Menschen eine bestätigte Infektion mit dem neuen Coronavirus nachgewiesen. Die tatsächliche Zahl der Infektionen dürfte aber etwa zwei- bis dreimal höher liegen, denn viele Infektionen verlaufen milde oder bleiben sogar unerkannt. Es könnten also durchaus mehr als zehn Millionen Deutsche bereits eine Infektion durchgemacht haben, das sind mehr als zehn Prozent der Bevölkerung. Die sogenannte Basis-Reproduktionszahl R0 wurde ursprünglich auf etwa drei taxiert, jeder Infizierte gibt das Virus also an drei weitere Menschen weiter, wenn es keine Schutzmaßnahmen gibt. Die Delta-Variante ist aber wohl deutlich ansteckender.

Bei der Influenza ist der R0-Wert geringer als bei Sars-CoV-2 – er liegt zwischen eins und zwei. Wie viele Menschen sich tatsächlich mit Grippeviren anstecken, ist von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich. Das Robert Koch-Institut (RKI) schätzt die Zahl der Infektionen anhand der dadurch verursachten Arztbesuche ab. Dabei geht das RKI aber davon aus, dass nur einer von drei Infizierten einen Arzt aufsucht, weil auch Influenza milde oder ohne Symptome verlaufen kann. Demnach infizieren sich in jeder Grippesaison zwischen 4 und 16 Millionen Menschen.

Wie gefährlich ist eine Infektion?

An einer Infektion mit Sars-CoV-2 sind in Deutschland inzwischen mehr als 93.000 Menschen gestorben, also etwas über 1,1 Promille der Bevölkerung. Damit steht unser Land im Vergleich zu etwa Großbritannien (knapp 2 Promille) oder den Vereinigten Staaten (2,2 Promille) relativ gut da. Wie groß der Anteil tödlicher Verläufe unter allen Infizierten ist, kann man nur schätzen. Geht man von zehn Millionen Ansteckungen aus, läge die sogenannte Infektionssterblichkeit bei Sars-CoV-2 bei etwa 0,9 Prozent. Das ist deutlich mehr als bei der saisonalen Grippe, bei der Fachleute die Sterblichkeitsrate im Durchschnitt mit etwa 0,2 Prozent angeben.

Allerdings sind die Zahlen bei den jährlichen Influenzawellen sehr unterschiedlich. In manchen Wintern schlagen die Viren besonders hart zu: Im Winter 2017/18 etwa starben in Deutschland binnen weniger Monate mehr als 25.000 überwiegend alte Menschen an der Grippe, im Winter davor waren es fast 23.000. Aber es gibt auch Jahre wie 2013/14, in denen die Viren relativ harmlos sind und kaum schwere Erkrankungen und Todesfälle nach sich ziehen. Die schlimmste bekannte Influenza-Pandemie ist noch immer die Spanische Grippe von 1918/19: Ihr fielen weltweit geschätzt 50 Millionen Menschen zum Opfer, allein in Deutschland könnten es 1918 über 400.000 Tote gewesen sein.

Wie wirksam sind die Impfungen?

Vor allem sind sie wichtig. Weil es im vergangenen Winter wenige Influenza-Infektionen gab, ist die Immunität in der Bevölkerung sicherlich abgesunken – ihre Immunsysteme hatten keinerlei Kontakt zu den Viren und konnten folglich auch keine Abwehr aufbauen. Unter den kleinen Kindern sind viele wahrscheinlich noch nie mit diesen Viren in Kontakt gekommen. Anders als das neue Coronavirus, das für Kinder fast nie gefährlich ist, kann die Influenza für Kinder unter fünf Jahren manchmal bedrohlich sein und sogar tödlich verlaufen. Die amerikanische Seuchenschutzbehörde CDC empfiehlt daher eine Grippeimpfung für alle Kinder ab sechs Monaten und für alle Erwachsenen ohnehin. In Deutschland wird die jährliche Grippeimpfung eigentlich nur für Menschen ab 60 Jahren empfohlen, ebenso für Risikogruppen und Schwangere. Auch Kinder mit Vorerkrankungen sollten geimpft werden. Ein zusätzlicher Schutz vor der Grippe für die Kinder sind viele geimpfte Erwachsene. Aktuell hat das zuständige Paul-Ehrlich-Institut bislang rund 25 Millionen Impfdosen freigegeben, bestellt hat Deutschland insgesamt 27 Millionen.

Die Impfstoffe richten sich gegen vier Virus-Typen: zwei Influenza-A- und zwei Influenza-B-Viren. Wie wirksam sie sind, entscheidet sich schon im Frühjahr zuvor. Dann sagt die WHO vorher, welche Virusstämme im Winter das Infektionsgeschehen bestimmen werden. Das muss sie deswegen so frühzeitig tun, weil die Produktion der Vakzinen lange dauert. In der Regel schützen sie dann zwischen 40 und 60 Prozent der Geimpften vor einer Erkrankung; die Corona-Impfung hat dagegen eine Effektivität von knapp 80 Prozent. Wer sich eine Grippeimpfung und eine Corona-Auffrischung zugleich geben lassen möchte, kann das gefahrlos tun.

Können wir aus der Corona-Pandemie etwas für die Grippe-Zeit lernen?

Die AHA-Regeln schützen im Winter auch vor Influenza-Infektionen. Wer starke Erkältungssymptome spürt, sollte sich nicht zur Arbeit schleppen und Kollegen anstecken. Und auch eine asiatische Sitte könnte hierzulande üblich werden: Wer sich krank fühlt, trüge dann auch zukünftig in der Öffentlichkeit eine Maske, um die anderen vor der Infektion zu schützen. Wichtig ist zudem, dass gefährdete und alte Menschen den Kontakt zu infizierten Kindern meiden: Bei der Grippe sind sie, anders als bei Corona, sehr ansteckend.

zitiert aus DIE ZEIT 43 / 2021 (21.10.2021)

Foto: pixabay.com