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Digitalisierung einer Kardiologie-Praxis: Fluch oder Segen?
Autoren: Dr. Frank Henschel

Es ist Montagfrüh 8:45 Uhr, alle Rechner sind hochgefahren, Ärzte und Fachangestellte sind startklar, 10 Patienten warten auf den Checkin. Aber schon beim 2. funktioniert der Kartenleser nicht wie gewünscht. Der Kleincomputer muss wiederholt neu gestartet werden. Das dauert. Lange Gesichter bei den wartenden Patienten, erhöhter Blutdruck bei den Front Desk Managerinnen der Kardiologischen Praxis. So ergeht es derzeit vielen Praxen in Deutschland. Eine politisch verordnete Digitalisierung trifft auf mangelhafte, teilweise veraltete Hardware, zunehmend auch auf genervte Mitarbeiter der Praxen. Dabei ist das nur eine Facette der Digitalisierung im Gesundheitssektor.

Die Kardiologen Rostock haben lange überlegt, ob eine breitere Anwendung von digitalen, smarten IT-Lösungen für den Praxisalltag hilfreich sein könnte. Begonnen hat das Nachdenken mit einer  überbordenden telefonischen Inanspruchnahme. 2 Mitarbeiterinnen waren im Backoffice nur mit dem Telefondienst beschäftigt. 3000 Anrufe pro Monate ist ein übliches Aufkommen für unsere Praxis, berichtet unsere Front Desk Managerin Annett Pehlgrimm. Im August 2019 wurde daher auf einen smarten Telefonassistenten umgestellt, der die Anrufe zunächst entgegennimmt und via Spracherkennung das Anliegen des Patienten speichert. Rückrufe konnten so in Zeiten verlegt werden, in denen es der Live-Praxisbetrieb besser zulässt.

Lange Zeit zuvor wurden bereits alle medizinischen Anwendungen in digitale Datenprozesse überführt. Ob EKG-Untersuchung, eine Schrittmacherabfrage, der Herzultraschall, eine Herzkatheteruntesuchung oder die gesamte Aktenführung einschließlich Dokumentenverwaltung, alles sind digitalisierte, also rechnerabhängige Vorgänge. Das verlangte Investitionen in Datentransfer, -speicherung und -sicherheit und ließ die Abhängigkeit von der Digitalwirtschaft und Kosten steigen. Im Praxisalltag manchmal mehr Fluch als Segen!

Dennoch führt aus unserer Sicht kein Weg an der Digitalisierung vorbei. Jüngstes Projekt der Praxis ist eine Teilautomatisierung der Erstaufnahmeprozesse. Aus der Überlegung heraus, die Zeit zwischen der Terminanmeldung und dem tatsächlichen Erscheinen der Patienten in der Praxis sinnvoll zu nutzen, erhalten diese ab dem 2. Quartal 2022 vorab digitale Fragebögen. Damit werden medizinische Routinefragen zur Anamnese, dem kardiovaskulären Risiko oder den Medikamenten bereits im Vorfeld der Behandlung abgefragt. Bisher erfolgte dieses Prozedere erst beim Erscheinen der Patienten in der Praxis und durch eine Arzthelferin. Das nahm viel Arbeitszeitressourcen in Anspruch.

Wir testen jetzt im 1. Quartal 2022 das System der Fa. Idana sehr intensiv, bevor wir es in unsere Aufnahmeprozesse vollständig integrieren. Wir erhoffen uns damit eine weitere Entlastung für unsere Front Desk Mitarbeiterinnen und weniger Anrufe über das Backoffice, berichtet Praxismanagerin Anna Christina Schulz. Es könnte eine Zeitersparnis für das gesamte Team darstellen, wenn ein strukturierter Aufnahmebogen mit Risiko- und Familienanamnese, aktueller Medikation und konkreter Fragestellung bereits vor der Behandlung vorliegt. Die Softwarelösung enthält auch eine Uploadfunktion für Krankenhausberichte und den Überweisungsschein, Datenschutzerklärung inklusive. Das bedeutet weniger Scanarbeit und Papiereinsparung, die Umwelt freut sich!

Wenn also Montagfrüh die Check-In-Prozesse mal wieder stocken, holen wir eventuell zukünftig die verlorene Zeit auf. Wir sind gespannt, wie unsere Patientinnen und Patienten das neue digitale Angebot annehmen werden. Am Ende des Jahres entscheiden wir ergebnisoffen über die Fortführung des Projektes. Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage heißt somit unverändert „sowohl als auch“ …